Timing in Psychoanalyse und Musik

12. Symposium der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse und Musik
3. – 5. November 2023 Bremen

In Kooperation mit der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV)
und dem Psychoanalytischen Institut Bremen (PSIB e.V.)

Anmeldung

Ihre Anmeldung senden Sie bitte an Carmen Müller symposion@psychoanalyse-und-musik.de und geben dazu den gewünschten Workshop an. Infos zu den Workshops finden Sie weiter unten.

Tageskarten sind wie folgt möglich:
Samstagvormittag: 80€
Samstag vor- und Nachmittag: 110€
Samstag incl. Geselliger Abend: 150€
Sonntag: 90€

Unterkunft

prizeotel Bremen-City
Theodor-Heuss-Allee 12, 28215 Bremen (Bahnhofsnähe)
prizeotel.com

Hotel Residence Bremen
Hohenlohestraße 42
28209 Bremen
hotel-residence-bremen.de

Arthotel Ana
Rembertistr. 11, 28203 Bremen (Innenstadt)
ana-hotels.com

Jugendherberge Bremen
Kalkstr. 6, 28195  Bremen (Innenstadt an der Weser)
jugendherberge.de

Turmhotel Weserblick
Osterdeich 53, 28203 Bremen
turmhotel-weserblick-bremen.de

Atlantic Grand Hotel
Bredenstraße 2, 28195 Bremen (Innenstadt)
atlantic-hotels.de

Beschreibung der Workshops

WORKSHOP 1
Impulse, Action and Intersubjectivity: an Introduction to Present Time Composition (PTCc)
Dr. Alan Bern, Komponist, Improvisator, Pianist, Pädagoge
Hannes Daerr, Musiker, Saxophonist, Trompeter

In diesem Workshop wollen wir die Methode des PTC- Present Time Composition, eine Methode, die das psychologische Timing, die inneren Vorgänge, das blitzschnelle Verarbeiten von Informationen und den reaktiven Impuls beim Musikimprovisieren zum zentralen Thema hat. Alan Bern hat diese Methode entwickelt und an vielen Orten auf der Welt mit Musikern an Musikhochschulen durchgeführt.

Ein PTC-Workshop startet mit Übungen, in denen die Aufmerksamkeit auf die inneren Impulse gelenk wird. Die zugrundeliegende Annahme ist, das in diesen Impulsen auch intelligente Systeme wirken, die wesentlich schneller arbeiten, als bewusste Prozesse. Musizieren, ebenso wie Sport und zahlreiche weitere Aktivitäten verlangt diese schnelle Verarbeitung, da der Moment, in dem eine Entscheidung getroffen werden muss, sonst schlicht schon vergangen ist. Das Ziel ist also, Erfahrungen mit den inneren Impulsen zu sammeln, um unterscheiden zu lernen, welche Art von Impuls zur Situation passt und schließlich Vertrauen zu finden in diese Art Form von Intelligenz.

Auch nachlesbar im Buch: R. Gagel, M. Schwabe (Hg.): Researching Improvisation. Transcript Verlag (2016).

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WORKSHOP 2
Stimmiger werden durch gutes Timing in Musik und Therapie
Dr. med. Wolfgang Baumgärtner, Psychotherapeut, Musiktherapeut
Jörg Fleer, Jazzgitarist, Komponist

Workshopziel ist ein Erleben davon, dass und ein Stück weit wie „gutes Timing“ in der therapeutischen Beziehung unser Musizieren positiv verändern kann … und umgekehrt das „richtige Timing“ beim Musizieren auch unser therapeutisch Kommunizieren positiv verändert!

In dem 90-minütigen Workshop für bis zu 20 Teilnehmende erwarten wir kreativ offene und neugierige Gegenüber, um gemeinsam einige konkrete musikalische Erfahrungen zu machen und darüber in einen lebendigen Austausch zu kommen.

Zur Praxis des Workshops: Nach einer Einführung mit Hörproben (u.a. live Jörg Fleer/Gitarre) finden als erste Runde alle Teilnehmenden über gemeinsames Trommeln auf (gestellten) Eimern mit Löffeln (alternativ: Body-Percussion, Stimme, mitgebrachte Instrumente*) schrittweise in einen gemeinsamen Groove, der durch eine interaktive Performance bereits wesentliche Elemente von Timing erfahren lässt.

In einer zweiten Runde erarbeiten alle in kleinen (z. B. 3er-) Gruppen an einem Rollenspiel mit entsprechenden Vorgaben, wie das gemeinsame (gegenseitige) Gelingen einer kurzen „therapeutischen Begegnung“ vom gestalteten Timing abhängt und sich verändern lässt.

In einer dritten Runde stellen einige Kleingruppen ihre Ergebnisse musikalisch improvisierend vor (perkussiv, instrumental oder mit Stimme*), während das Plenum (auf dem in der 1. Runde Erarbeiteten aufbauend) den groovenden Hintergrund bildet.

In einer letzten Runde werden zum Thema gemachte Beobachtungen und Erfahrungen auf dem Hintergrund tiefenpsychologischer Erkenntnisse hinterfragt und Thesen bzw. neue Fragen formuliert. Wenn auch sich die vielfältige Facetten von Timing in allen Musik-Genres beobachten lassen, bieten sich gerade Elemente des Jazz an, insbesondere infolge der Betonung der Improvisation.

Den Abschluss bildet eine gemeinsame musikalische „Session“, in der die Dozenten das Erarbeitete noch einmal spontan musikalisch zusammenführen (Gitarre und Trompete, plus Gruppe).

Den theoretischen Workshop-Hintergrund bilden „Gemeinsamkeiten“ zwischen Musik und Therapie. In der Musik brauchen wir die lebendige Begegnung der Musizierenden. Dabei geht es nicht ohne fruchtbares Timing. Zeit Ist begrenzt, Timing braucht Zeit, Zeit hat Höhepunkte, es gibt die „richtige Zeit“ (siehe etwa Kairos). Ein gutes Timing ist nicht nur das exakte Metrum (die Schlagzahl), sondern das „rechtzeitige“ sich Einstellen auf das und in das musikalische Geschehen. Das Kommunizieren innerhalb musikalischer Interaktion mit anderen bedeutet die Chance echten Gespräches im Sinne von Geben und Nehmen. Dazu ist es notwendig, auch im Timing zu modellieren, etwa „Laid Back“ oder „Infront“‚ zu spielen.

Neben physikalisch formulierbaren, das Timing gestaltenden Parametern wie Genre, Metrum, verfügbarer oder vereinbarter Zeitrahmen, Rhythmus-Zuordnung (Taktart, Taktzahl), … gelten auch psychische und mentale Parameter, wie die Art der Persönlichkeiten (etwa das „Temperament“), die emotionale Schwingungsfähigkeit und die gegenseitige Empathie der Agierenden. Auch zum „nur“ hörenden Teilhaben an Musik gelten entsprechende Überlegungen … Erkenntnisse und Begriffe der Tiefenpsychologie wie Übertragung/Gegen-Übertragung und andere vertiefen unser Verstehen der Bedingungen und Vorgänge beim Musizieren elementar.

Innerhalb einer therapeutischen Gesprächssituation, in Psychotherapie und Psychoanalyse, erkennen wir Vergleichbares: Für Lebendigkeit und letztlich Effizienz ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen (der Therapierenden und der Therapierten) erforderlich, das sich notwendigerweise auch über das Timing gestaltet. Ich kann beispielsweise dem andern im Gespräch Raum geben, selbst gewissermaßen Laid Back seinem Metrum folgend; in anderen Situationen kann es notwendig werden, ein klein wenig „voraus“ zu sein. Wir brauchen Timing, weil Zeit begrenzt ist; wir wollen sie sinnvoll füllen; eine „Dramaturgie“ wie Tempo- oder Temperament-Wechsel benötigt Timing. All dies macht beim Musizieren wie im Gespräch Sinn.

*kleine Anlage inkl. Mikro, Percussioninstrumente (s.o.), E-Piano, ggf. Kontrabass stellen wir ggf. …

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WORKSHOP 3
Musikalische ZEIT-LUPE am Beispiel von „Immortal Bach“ (Knut Nystedt)
Annegret Körber, Dipl.-Musiktherapeutin, Gruppenlehranalytikerin (D3G)

Wenn in der Musik mittels Accelerando oder Ritardando zeitliche Verläufe gestaltet werden, so folgen die Wahrnehmungen der Hörenden diesen Prozessen unmittelbar. Absichtsvoll fällt die Linie der Musik aus dem durch den Takt festgelegten Grundpuls. Art und Weise können dabei von den Komponist:innen vorgegeben sein, liegen letztendlich jedoch in der Ausführung der jeweiligen Interpret:innen.

Der norwegische Komponist Knut Nystedt hat für seine Komposition „Immortal Bach“ mit genauen Angaben die Verlängerung der Töne geregelt und schafft so eine Neu-Bedeutung der ersten Zeile des Bach-Chorals „Komm süßer Tod“. Die nahezu mathematisch genaue Dehnung der einzelnen Notenwerte führt zur Entstehung von Klangschichtungen der Stimmgruppen, die sich in den Fermaten am Ende jeder Phrase wieder auflösen. So gelangen die Hörenden in einen Sog der Zerdehnung und Verdichtung des ursprünglichen Tonmaterials. Mit Hilfe des neuen Zeitmaßes kann ein Eindruck von Maßlosigkeit, Unendlichkeit, Immortalität entstehen.

In der analytischen Gruppentherapie erleben wir Verdichtungen und Komplexität von Themen und Emotionalität gleich musikalischen Clustern. Das Zeitempfinden löst sich mitunter von der analogen Zeit – die Abläufe, in die sich scheinbar entschwundene Erinnerungen vergangener Zeiten mischen, werden individuell als beschleunigt oder verlangsamt empfunden. Gehalten von der Struktur einer Sitzung finden sich die Teilnehmenden schließlich am Ende wie in einer Fermate wieder.

Im Workshop hören wir Interpretationen der Nystedtschen Komposition und erforschen die Wirkung gedehnter Klänge, der dabei entstehenden Cluster und deren Auflösung. Welche Assoziationen tauchen auf? Welche Bedeutungsschichten werden eröffnet? In einem angeleiteten Selbstversuch formen sich vielstimmige Klanggebilde in einer zeitlichen Ausdehnung und lösen sich wieder auf. Die Gruppe der Workshopteilnehmer:innen entwickelt dabei ihr eigenes Timing des Hörens, Erlebens und Verstehens, das wahrgenommen und erkundet werden kann.

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WORKSHOP 4
Dub Music: Das Spiel mit der Zeit und die Reduktion als traumatherapeutischer Prozess
Dr. med. Hannes Uhlemann, Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychoanalyse

Dub Music: Das Spiel mit der Zeit und die Reduktion als traumatherapeutischer Prozess Dub ist ein Musikstil, der sich in den 60-ger und 70-ger Jahren aus Reggae und Rocksteady entwickelte. Man nutzte sogenannte Dubplates der Aufnahmen, um im Studio Veränderungen am Material vorzunehmen, indem z. B. der Gesang oder die Bläser aus der Aufnahme entfernt und Effekte eingefügt wurden. Auf diese Weise entstanden die sogenannte Versions der ursprünglichen Songs, die später weiter verarbeitet wurden, u.a. durch die Veränderung der zeitlichen Struktur des Materials im Sinne von Unterbrechungen, den Breaks, und von Delays, d.h. von Verzögerungen, Nachhall- und Echoeffekten. Im Dubstep, einer Weiterentwicklung, wird dieser Prozess so weit getrieben und das Material so weit skelettiert, dass der Hall und die Echos die eigentlichen Träger des Songs sein können.

Wesentlicher Inhalt der Dub-Songs sind, sofern sie einen Text haben, die Trauer um den Verlust der Heimat der jamaikanischen Nachfahren aus Afrika verschleppter Sklaven, eine Sehnsucht nach dem Kontinent Afrika oder „Zion“ und nach Gott – Jah/Yah, sowie die Anklage gegen „Babylon“, das die Europäer, den Westen bzw. Unterdrücker insgesamt repräsentiert. Dub hat vor diesem Hintergrund im Wesentlichen auch die Funktion einer Konfrontation mit kollektiven traumatischen Erlebnissen und deren Durcharbeitung.

Phänomene einer Veränderung zeitlichen Erlebens finden sich bei vielen psychischen Störungen, z. B. Depressionen und Manien. Im Fall von Traumafolgestörungen werden derartige Veränderungen häufig bereits für den Moment der Traumatisierung beschrieben, im Rahmen der peritraumatischen Dissoziation kann es z. B. zum Erleben eines Stillstands der Zeit oder zu deren endloser Dehnung kommen. Diese Phänomene tauchen in den Behandlungen häufig wieder auf, sei es als Bericht, oder als Wiedererleben in der therapeutischen Situation. Im Begriff des Nachhallerlebens, dem wesentlichen klinischen Merkmal posttraumatischer Belastungsstörungen, ist der Aspekt des Halls zu finden. Auch außerhalb des Traumakontextes können Nachhallerlebnisse beobachtet werden, wenn das Material in der Psychoanalyse in einer eigenen, vom kalendarischen Raum-Zeit-Kontinuum abgelösten Zeitlichkeit erinnert wird oder bei Klient:in und Therapeut:in Echos und Hall induziert werden. Die Reduktion, das Weglassen bzw. die Lücke sind ebenfalls vertraute Phänomene im therapeutischen Prozess, der damit Ähnlichkeiten mit dem Dub-Song hat.

Hörbeispiele
DUB: Rhythm & Sound „See Mi Yah“, „King in My Empire“, „Let Yah Love Come“, Prince Far I „Dub to Africa“, King Tubby „Psalms of Dub“, The Aggravators „So Jah Sey Dub“
DUBSTEP: Burial „Distant Lights“, „Southern Comfort“, Kode9 & The Spaceape „Victims“